Die Connewitzer Verlagsbuchhandlung - eine kleine Chronik der Jahre 1990 bis 1998


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Bilder:

oben links und oben rechts: Buchhandlung mit Rasen, die Connewitzer Verlagsbuchhhandlung in der Fritz-Austel-Str. 37 im Juni 1990 bei der Eröffnung. Man beachte auch die Besucher im Chic der Zeit.

unten links und unten rechts: Wolfgang U. Schütte bestreitet im September 1990 die erste Lesung in der Buchhandlung. Natürlich ist es ein Lene-Voigt-Abend, bei dem auch Leipziger Allerlei gereicht wird.

Fotos: CVB

Foto: Karin Wieckhorst
Foto: Karin Wieckhorst

1990
Am 13. März wird die Connewitzer Verlagsbuch- handlung Peter Hinke als Betrieb des verbreitenden und herstellenden Buchhandels beim Rat des Stadtbezirkes Leipzig-Süd eingetragen. Noch im Frühjahr 1990 kann durch Straßenverkäufe die Grundlage für die Existenz der Firma gelegt werden. Fast 3.000mal geht dabei der Titel »Jetzt oder nie« des Leipziger Forum-Verlages innerhalb weniger Wochen über die provisorischen Verkaufstische. Mit dem Erlös dieser Aktionen werden neue Bücher angeschafft und Investitionen ermöglicht. Die ersten Partner heißen neben dem Leipziger Forum Verlag Wagenbach, Rotbuch, Insel und Gustav Kiepenheuer. Nach hart erkämpfter Zuweisung eines Gewerberaumes wird durch uneigennützige Hilfe vieler Freunde das zukünftige Stammhaus in Leipzig-Connewitz ausgebaut. Kurz nach der Währungsunion – am 8. Juli 1990 – kann das Geschäft in der Fritz-Austel-Str. 37 eröffnet werden. Statt teurem Ladenbau und buntem Programm steht das gute Buch von Beginn an im Mittelpunkt. Der Start ist erfolgreich, die Connewitzer Verlagsbuchhandlung avanciert – begünstigt auch durch das pulsierende Szeneleben des Stadtviertels – bereits nach wenigen Wochen zur ersten literarische Adresse der Stadt.

Schon im August nehmen die ersten von vielen bekannten und unbekannten Gästen auf dem legendären Lesesofa Platz, um ihre Werke vorzutragen. Das Engagement im kulturellen Bereich bringt viel Medieninteresse für das Projekt mit sich, ARD und ZDF drehen in Connewitz, die »Zeit« und die »Basler Zeitung« berichten, selbst aus dem fernen Südkorea kommt ein Fernsehteam.Im September 1990 erscheint erstmals (zunächst als Kundenzeitschrift) der »Connewitzer Kreuzer«, welcher von Raban Ruddigkeit gestalterisch und von Peter Hinke inhaltlich betreut wird. Ausstellungen mit den Künstlern Glenn Horvath und Roger Troks finden ein neugieriges Publikum in den Räumen der Verlagsbuchhandlung.


Wirtschaftlich ist das erste Jahr ausgeglichen, es besteht die Hoffnung auf blühende Landschaften.
Gäste 1990 (in chronologischer Reihenfolge der Veranstaltungen): u.a. Wolfgang U. Schütte, Christian Hussel, Ines Schaumberg, Wild Willi Beckett, Petra Lux, Erich Loest, Gerhard Seyfried (mit Hund), Fritz Rudolf Fries, John Berger, Thomas Böhme, Kurt Drawert, Angela Krauß, Klaus Wagenbach, Ulrich Preuß, Gerhard Leo, Bert Papenfuß-Gorek, Stefan Döring u.a.

1991
Von Januar bis April 1991 erscheint der »Connewitzer Kreuzer« – ein 60seitiges vierfarbiges monatliches Kulturmagazin – als Beilage der  Leipziger »Anderen Zeitung« (DAZ), welche eine fünfstellige Auflagenhöhe und somit ein breites Publikum erreicht. Namhafte Autoren sorgen unter der Redaktionsleitung von Raban Ruddigkeit für ein hochklassiges Blatt. Nach dem Ableben der DAZ entsteht im Mai/Juni 1991 aus diesem Kreis u.a. auf Initiative des Verlagsbuchhandlungspioniers Egbert Pietsch das unabhängige Stadtmagazin »Kreuzer«.
Es ist der Sommer von Connewitz. Alternative Wohnprojekte, Kneipen und Galerien haben in den vorangegangenen Monaten das Viertel belebt und bringen viel Bewegung.
1991 ist auch wieder ein erfolgreiches Jahr der Lesungen. Die Autoren geben sich die Klinke in die Hand, das Publikum folgt, die Begeisterung ist beiderseits. Größere Veranstaltungen der Buchhandlung finden jetzt aus Platzgründen in der benachbarten legendären Galerie Eigen+Art von Judy Lybke statt. Unvergeßlich bleiben die Ausstellungseröffnung mit Walter Moers (die wegen Strommangel bei Kerzenschein stattfindet), der Auftritt des Österreichers H.C. Artmann und die Lesung von Christa Wolf in der überfüllten Eigen+Art.
Im Herbst wird in Colditz/Sachsen die Colditzer Bücherstube aufgebaut; die Connewitzer Verlagsbuchhandlung legt mit Hand an und ist hier bis 1994 Mitgesellschafter.
Aus wirtschaftlicher Sicht ist 1991 ein positives Jahr. Rechnungskunden nehmen an Bedeutung zu; der Fortschritt läßt endgültig die letzten Schreibmaschinen im Unternehmen den Computern weichen.
Gäste 1991: Mensching & Wenzel, H.C. Artmann, Wolfgang Hilbig, Jayne-Ann Igel, Bernd-Lutz Lange, Walter Moers, Kiev Stingl, Adolf Endler, Sascha Anderson, Barbara Köhler, Wolfgang Niedecken, Jens Reich, Dimitri Prigow, Hans Mayer, Gino Hahnemann, Rainer Schedlinski, Gerhard Wolf, Jan Faktor, Birgit Vanderbeke, Gert Neumann, Roza Domascyna, Elke Erb, Cordt Berneburger (Thomas Brussig), Rolf Hochhuth, Bodo Kirchhoff, Wilhelm Schmid, Sten Nadolny, Martin Walser, Christa Wolf, Michael Krüger u.a.

1992 
Es erscheinen die ersten Bücher der Connewitzer Verlagsbuchhandlung; auf der Leipziger Buchmesse wird das Verlagsprogramm auf eigenem Messestand präsentiert. Den Auftakt machen die Fotobände von Karin Wieckhorst (»Berlin«) und Peter Thieme (»Plagwitz«) mit Texten von Barbara Köhler, Jayne-Ann Igel und Wolfgang Hilbig, sowie die Gedichtbände »ballett der vergeßlichkeit« und »die verteilung des lächelns bei gegenwehr« der Leipziger Autoren Thomas Böhme und Thomas Kunst. Von Raban Ruddigkeit erscheint der Comicband »Des Rabën Wunderhorn«.
Im Frühjahr wird in der Leipziger Innenstadt in der Messehofpassage auf 18 qm eine kleine Filiale – die Connewitzer Stadtbuchhandlung – eröffnet, im August wird diese auf 100 qm vergrößert. Da die wirtschaftliche Situation in Connewitz selbst immer unbefriedigender wird, ist diese Neueröffnung in der City trotz hoher Miete lebensnotwendig und zukunftsweisend. Auch hier wird die Buchhandlung (Werbeslogan: »Die letzte Buchhandlung vor dem Wahnsinn«) schnell vom Publikum angenommen.
Lesungen finden nun auch in der Innenstadt statt, als erste Gäste haben Konstantin Wecker und Erwin Strittmatter ein großes Publikum, für Tschingis Aitmatows Auftritt wird das Gewandhaus angemietet.
In Connewitz kommt es immer häufiger zu Unruhen zwischen linken und rechten Jugendlichen und der Polizei. Bei einer Straßenschlacht Ende des Jahres wird auch das Geschäft der Verlagsbuchhandlung in Mitleidenschaft gezogen.
Gäste 1992: Tilman Spengler, Volker Braun, Pavel Kohout, Grace Paley, Marianne Frisch, Eva Demski, Klaus Schöffling, Erwin Strittmatter, Konstantin Wecker, Raymond Federman, Alice Schwarz-Gardos, Tschingis Aitmatow, Friedrich Hitzer u.a.

1993
Es erscheint das Fotolesebuch »Connewitz« von Stephan Morgenstern, welches dem Verlag ersten bescheidenen kommerziellen Erfolg beschert, aber öffentlich auch heftig umstritten wird. Als weitere wichtige Bücher sind in diesem Jahr ein Reprint von Kurt Wolffs Almanach »Vom jüngsten Tag« aus dem Jahre 1917, die »E zählung« des jungen Kölners Ulrich Hölzer sowie die »Flöze« von Bernd Jentzsch zu nennen.
Im August wird die kleine Buchhandlung »Dresslers Buchladen« in Halle übernommen, da deren Existenz nach dem Tode ihres bisherigen Inhabers gefährdet ist. Unter der Leipziger Leitung führen die bisherigen Mitarbeiter das Geschäft unter dem neuem Namen »SIC-Buchhandlung und Verlag« weiter.
Gäste 1993: Karl Mickel, Ulrich Hölzer, Christoph Hein, Peter Bichsel, Lola Grünthal, Irene Dische, P.F. Thomese, Bernd Jentzsch, Walter Moers u.a.

1994    
In Zusammenarbeit mit der Staatlichen Galerie Moritzburg Halle entsteht der vielbeachtete Bildband über das Werk der Photographin Gerda Leo, welcher den Auftakt zu weiteren gemeinsamen Projekten darstellt. Außerdem erscheint im November der beim Klagenfurter Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb ausgezeichnete Roman »Cahlenberg« von Bernd Schirmer, der leider nicht die erwartete Resonanz findet.
Zum Jahresende muß aus wirtschaftlichen Gründen das Stammhaus in Connewitz aufgegeben werden.
Gäste 1994: Knut Koch, Bernd Schirmer, Vito von Eichborn, Ulrich Wickert, Rio Reiser, Moshe Kahn, Mark Amerika, Helge Schneider, Sten Nadolny, Bernd Neumann u.a.

1995
Zur Leipziger Buchmesse im März werden die Bücher »Das Buch von Leipzig – Was nicht im Baedeker steht« und »Sächsisch – Was nicht im Wörterbuch steht« des Leipziger Autors Hans Reimann veröffentlicht. Diese Titel bilden den Grundstock für eine erfolgreiche Arbeit mit regionalspezifischen Titeln. Im Herbst schließen sich »Das Buch von Frankfurt, Mainz, Wiesbaden« von Hans Reimann und das erfolgreiche Buch »Nu Grade« der sächsischen Heimatdichterin Lene Voigt an. Durch die Erfolge mit den zuletzt genannten Autoren werden die Gedichtbände von Andreas Reimann und Kerstin Hensel, die in kleiner Auflage erscheinen, möglich. Weiterhin werden 1995 das »Hanebuch von 1984« der Brachialromantiker Dieter Beckert und Jürgen B. Wolff – beide besser bekannt als das »Duo Sonnenschirm« – und der Fotoleseband »Leutzsch« von Falk Brunner und Fritz Rudolf Fries vorgelegt.
Im Herbst erfolgt der Umzug in den Specks Hof. Die Connewitzer Verlagsbuchhandlung nutzt nach langer Suche das Angebot des alten Messehauses und findet passende Räume in angemessener Lage mit einem langfristigen Mietvertrages. Alle Arbeiten der Buchhandlung und des Verlages werden jetzt hier konzentriert. Der Entwurf und Ausbau im klassischen Stil wird durch den Architekten Gregor Fuchshuber durchgeführt.
Am 17.10.1995 eröffnet die Connewitzer Verlagsbuchhandlung ihr neues Stammhaus mit einer Lesung von Ingo Schulze. Ein gesellschaftlicher Höhepunkt des Jahres ist der kulinarische Abend mit Sybil Gräfin Schönfeldt zum Thema »Essen bei Thomas Mann«. Die zu teuer gewordene Stadtbuchhandlung in der Messehofpassage schließt zum Jahresende.
Gäste 1995: Ingo Schulze, Wolfgang Hilbig, F.C.Delius, Wolfgang U. Schütte, Anke Geißler, Christian Becher, Paul Nizon, Thomas Brussig, Sybil Gräfin Schönfeldt u.a.

1996
Zu Beginn des Jahres wird der Ausbau der neuen Buchhandlung fertiggestellt, die letzten Provisorien verschwinden. Zur Leipziger Buchmesse sehen über 1.000 Gäste die im neuen Haus stattfindenden Lesungen von Tom Pauls, dem Duo Sonnenschirm, Ulrich Wickert und Harry Rowohlt. Auch Umberto Eco und Mario Vargas Llosa geben sich in diesem Jahr die Ehre.
Es erscheinen der Reprint »Leipzig in seiner Vergangenheit und Gegenwart«, der Fotoband »Die Schönheit der Frauen«von Matthias Leupold und nach mehrjährigen Vorarbeiten der erste Teil von Jens Fuges »Ein Jahrhundert Leipziger Fußball«. Letzteres Buch wird im Leipziger Weihnachtsgeschäft ein Erfolgstitel.
Gäste 1996: Gregor Gysi, Tom Pauls, Duo Sonnenschirm, Umberto Eco, Ralf König, Ulrich Wickert, Harry Rowohlt, Friedrich Schorlemmer, Carl Friedman, Gretchen Dutschke, Mario Vargas Llosa, Siegfried Unseld, Wiglaf Droste, Gerhard Henschel u.a.

 

1997
Trotz widriger Umstände im krisengeschüttelten Lande ein gutes und produktives Jahr. Veranstaltungshöhepunkt ist wie im Vorjahr der Auftritt von Harry Rowohlt, der im angrenzenden Hansa-Haus vor rund 500 Zuhörern einen 6stündigen Lesemarathon absolviert und eigene sowie fremde Werke darbringt. Im Verlag erscheinen mehrere Kunstbände. Die Zusammenarbeit mit dem aufstrebenden Hallenser Künstler Moritz Götze beschert die Bücher »Aus meinem Leben«, »Das Heimatmuseum« und »station to station«.
Klaus Elle und Fritz Franz Vogel geben den experimentellen Fotoband »Elle« heraus, die Bücher »Chimæra«, »Witkacy«, und Arno Fischers »Fotografien« sind das Ergebnis von Co-Produktionen mit der Staatlichen Galerie Moritzburg sowie Galerien aus München und New York.
Aus der Reihe »Was nicht im Baedeker steht« erscheinen »Das Buch von der Riviera« von Erika und Klaus Mann, »Das Buch von Hamburg« von Hans Harbeck und »Das Buch von Berlin« von Eugen Szatmari.
Anschließend an den Erfolgstitel des Vorjahres geht erstmals das »Leipziger Fußball. Jahrbuch 1996/97« an den Start, kurz vor Weihnachten erfreut Jens Fuges zweiter Teil von »Ein Jahrhundert Leipziger Fußball« das Publikum.
Eine Beteiligung an dem Verlagsprojekt der »Poetischen Boegen« bringt neben der Herausgabe von elf hoffnungsvoll produzierten Gedichtbänden viel Kritik anläßlich der Mitarbeit des Herausgebers Sascha Anderson. Der im Frühjahr mitgegründete Verein »Freunde der Poesie« erweist sich als unglücklicher Versuch der Literaturförderung. Als geglückt betrachtet werden kann die Unterstützung der Lene-Voigt-Gesellschaft, die häufig ihre Veranstaltungen in der Buchhandlung durchführt.
Die Hallenser Filiale SIC wird zum Jahresende aus Konzentrationsgründen geschlossen, die dortigen Mitarbeiter machen sich mit Leipziger Hilfe selbständig.
Gäste 1997: Patricia Duncker, Arnulf Conradi, Harry Rowohlt, Herbert Rosendorfer u.a.

 

1998
Die Connewitzer Verlagsbuchhandlung geht online. Noch bevor die provisorische Seite durch eine korrekte Site ersetzt werden kann, treffen die ersten positiven Resonanzen und Bestellungen aus den virtuellen Buchläden »http://www.buchhandel.de« und »http://www.buchkatalog.de« ein. Dieser Start sorgt für Hoffnung auf eine erfolgreiche Integration des neuen und heißumstrittenen Mediums in die gewachsene Buchhandelsstruktur...

 Fortsetzung folgt!